Holacracy bei Unic: Vom Abenteuer zum Alltag!

Nicole Buri1

Nicole BuriApril 2019

Ein schneller, dynamischer Veränderungsprozess

Ivo, inwiefern haben sich die Erwartungen, die du ursprünglich an das neue Organisationssystem hattest, bestätigt?

Ivo Bättig: Wir haben ursprünglich vier Ziele definiert, die wir mit der Einführung von Holacracy erreichen wollten. 

  1. Einerseits haben wir uns davon mehr interdisziplinäre und auch flexiblere Zusammenarbeit innerhalb von Unic und mit anderen Organisationen versprochen. Hier haben wir sehr grosse Fortschritte gemacht. Innerhalb der Organisation sind in den zwei Jahren zahlreiche neue Teams (oder in Holacracy-Nomenklatur Kreise) entstanden, die sehr interdisziplinär zusammengesetzt sind. Dabei sind beispielsweise auch Kundenkreise entstanden, welche sich dediziert auf den Erfolg des Kunden ausrichten. Auch unser Partnernetzwerk haben wir weiter ausgebaut. So können wir heute bei Bedarf auf viele verlängerte Arme zugreifen und dadurch noch flexibler auf Kundenwünsche eingehen. Dieses Netzwerk wollen wir weiter ausbauen.

  2. Wir haben zweitens einen kontinuierlichen und schnellen Veränderungsprozess gesucht, um dynamischer auf neue Anforderungen reagieren zu können. Dies ist uns durch die neuen Regeln, die Meeting-Formate, welche Operatives und Strukturelles klar trennen, und die effektiven Konsent-Entscheidungen (nicht Konsens!) definitiv gelungen. Dank kleinen, aber stetigen Schritten schaffen wir es, neue Ideen schneller auf den Boden zu bringen.

  3. Weiter wollten wir uns als attraktiven und modernen Arbeitgeber positionieren, der Talente anzieht. Nach wie vor ist es schwierig, genug Fachkräfte am Markt zu gewinnen. Doch wir haben die Attraktivität durch unsere Projekterfolge und das moderne Organisationssystem klar steigern können, dies zeigen auch die Ergebnisse der aktuellsten Befragung der Mitarbeitenden.

  4. Schliesslich wollten wir die Energie der Mitarbeitenden durch mehr Selbstverantwortung und Transparenz nutzen: Die Selbstorganisation und -verantwortung fordern viel Umdenken. Jeder und jede muss aus alten Strukturen und Verhaltensmustern ausbrechen. Wir sind hier auf gutem Weg, aber müssen alle noch viel lernen. Dazu werden wir zukünftig noch mehr Trainingsangebote entwickeln.

Flashback zum Anfang 2017: Ivo Bättig und Stephan Handschin über die Ziele und Erwartungen:

Kein einfacher Spaziergang

Welches waren aus deiner Sicht die grössten Herausforderungen auf dem bisherigen Weg zu einer agilen Organisationsform?

Eine solche Transformation ist definitiv kein Spaziergang. Die andersartigen Prozesse hatten wir relativ schnell im Griff. Sehr viel intensiver ist jedoch die Veränderung der Zusammenarbeitskultur und die Förderung der Selbstorganisation: Bei Holacracy gibt es keine klassischen Vorgesetzten mehr, die sich um die Mitarbeitenden und deren Arbeitseinsatz kümmern, die Feedback geben und auch mal loben. Der Mitarbeitende darf bzw. muss selbstständig Entscheide fällen. Diese Entwicklung braucht Zeit und Raum. Die Themen Feedback und Wertschätzung haben wir definitiv unterschätzt. Inzwischen haben wir neue Formate dafür auf die Beine gestellt und schaffen neue Rollen, die sich um die Unterstützung von Mitarbeitenden im neuen Organisationssystem kümmern.

Wir mussten auch lernen, immer nur aus der eigenen Rolle heraus zu handeln. Spannungen sind nur real und können bearbeitet werden, wenn sie eine Rolle direkt betreffen. 

Das Thema faires und transparentes Lohnsystem birgt viel Zündstoff: Wir versuchen hier Schritt für Schritt dem Thema Macht- und Verantwortungsverteilung gerecht zu werden, aber auch nach wie vor Erfahrung und Leadership zu honorieren. Ein schwieriger Spagat, in dem auch Diskussionen zu Grundsatzthemen wie Lohngerechtigkeit stattfinden. 

Die Schaffung von Entwicklungsperspektiven ist ein weiteres herausforderndes Thema. Klassische Führungskarrieren können wir mit Holacracy nicht mehr bieten. Entwicklungsmöglichkeiten gibt es dennoch viele: Über die Fachkarriere können Mitarbeitende in den unterschiedlichen Job Families ihre Maturität schrittweise erhöhen. Anderseits ist das rollenbasierte System sehr durchlässig und bietet per se viele Möglichkeiten. Jede und jeder Einzelne ist dabei für den persönlichen Entwicklungspfad verantwortlich.

Zu Beginn hatten wir auch Mühe mit dem Thema Powershift: Es gab am Anfang ein Vakuum, da die ehemaligen Führungskräfte sich zurückgezogen haben, aber noch niemand so richtig den Mut und die Sicherheit hatte, Verantwortung zu übernehmen und Neues auszuprobieren. Die ehemaligen Führungskräfte mussten sich daran gewöhnen loszulassen, sich an das sogenannte «Safe-enough-to-try» zu gewöhnen. Auch im neuen Organisationssystem braucht es Leadership, d. h. es braucht Leute, welche Ideen einbringen, voraus gehen, etwas wagen, mit viel Energie umsetzen und Leute mitreissen können.

Eindrücke aus der Woche 1 mit Holacracy:

Welches sind denn aus deiner Sicht die positivsten Veränderungen?

Ich finde wir haben bezüglich Innovationskraft, Kundenorientierung und persönliche Entwicklungsmöglichkeiten ganz neue Kräfte mobilisieren können. Ich spüre viel Innovationsgeist: In Holacracy können nicht einfach Spannungen (im Sinne von Möglichkeiten oder Problemen) geäussert werden, sondern es braucht immer einen Lösungsvorschlag dazu. Dieser ist per se gültig, ausser jemand kann aufzeigen, dass der Ansatz dem Unternehmen Schaden zufügen würde. Es gilt also die umgekehrte Beweislage: Wer eine Idee hat muss nicht alle überzeugen und es müssen nicht alle die Idee gut finden. So entstehen viel mehr Ideen und Lösungen. Durch die Dezentralisierung der Entscheidungsfindung werden wir generell effizienter und effektiver, da Lösungen direkt da gefunden und die Entscheidungen da gefällt werden, wo die Fragen entstehen.

Wir konnten zudem unsere Markt- und Kundenorientierung deutlich erhöhen, weil der Purpose der Kreise sich explizit an den Kunden oder am Markt ausrichten, d. h. mehr Leute arbeiten wieder an der Front. Dies hat u. a. damit zu tun, dass viele Chef-Tätigkeiten wegfallen und sich jede Führungskraft Gedanken machen muss, wie sie / er sich wieder verstärkt am Markt und bei den Kunden einbringen kann. Viele haben dabei auch wieder die Freude an der Arbeit am Kunden neu entdeckt.

Ich spüre viel neue Freiräume: Mitarbeitende können unterschiedliche Rollen wahrnehmen, anstatt sich an fixen Stellenprofilen zu orientieren. So kann sich jede und jeder da einbringen, wo sie oder er Stärken hat. Dies bringt uns auch als Unic weiter, da die Kompetenzen gezielt eingesetzt werden können. 

Ein grosses Lernstück ist die Macht der kleinen Schritte. Früher wollten wir möglichst alles bis ins kleinste Detail ausarbeiten. Dadurch waren wir teilweise träge. Heute wagen wir es, in kleinen Schritten voranzugehen und dadurch stetige Verbesserungen zu machen – Schritt für Schritt. Dadurch entsteht Neues und schliesslich auch Grosses. 

Würdest du dir wünschen, das Rad wieder zurück drehen zu können?

Nein, niemals. Wir würden heute sicher das eine oder andere anders machen. Ich sehe Holacracy als Mittel zum Zweck, d. h. als Werkzeug, um als Organisation agiler und selbstorganisierter zu werden. Ich bin unglaublich stolz darauf, wie wir uns in den zwei Jahren als Organisation entwickelt haben. Die Aussagen auf kununuu bestärken mich, dass wir den richtigen Weg gewählt haben, auch wenn es manchmal schmerzhaft war: «Tolle Arbeitsatmosphäre, geprägt von einer offenen Unternehmenskultur in der jeder Einzelne zur Gestaltung und zum Erfolg mittels Holacracy beitragen kann» und «Durch Holacracy hat man selbst darauf Einfluss, welche Rollen geschaffen werden, welche Aufgaben es zu erledigen geben sollte, wenn man seine Ziele als gesamter Kreis erreichen möchte.

Dank kleinen, aber stetigen Schritten schaffen wir es, neue Ideen schneller auf den Boden zu bringen.

Ivo Bättig
Transformation Consultant, Unic AG

Auch grundsätzlich wird immer nur das «was» definiert, aber nicht das «wie», da das jedem selbst überlassen wird – getreu dem Motto «jeder so wie er es am besten kann» und «keine Vorgesetzten sind die besten Vorgesetzten. Holacracy ist eine Bereicherung. Holacracy lässt einem arbeiten wie man am besten funktioniert.»

Besonders freut mich natürlich, dass wir zur Zeit sehr erfolgreich unterwegs sind. Hat dies mit Holacracy zu tun? Ich weiss es nicht – die Idee ist natürlich schon, dass wir mittel- bis längerfristig durch diese neue Art der Arbeit erfolgreicher sind, doch dies auf Holacracy zurückzuführen wäre zu kurz gegriffen. Da gibt es ganz viele Faktoren, die zusammenspielen.

Für die Zukunft wünsche ich mir, dass wir noch Purpose-orientierter werden, d. h. uns noch stärker am Sinn und Zweck der einzelnen Kreise und Rollen ausrichten und weniger nach vorgedachten Zielen.

Wir konnten auf dieser Reise alle zusammen unheimlich viel lernen und die Lernreise geht weiter – denn wir sind inzwischen eine sich kontinuierlich dem Markt- und Kundenbedürfnis anpassende, lernende Organisation. Und das macht Spass und macht uns auch erfolgreicher – jetzt und in Zukunft sowieso! 

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